Wenn alles in Bewegung ist – nur man selbst nicht
- Anita Glombik

- 18. Nov.
- 3 Min. Lesezeit
Es gibt Lebensphasen, in denen wir alles geben und dennoch das Gefühl haben, nicht voranzukommen. Von außen wirkt vieles stabil: Man erledigt seine Arbeit zuverlässig, man zeigt Einsatz, man bleibt präsent. Und trotzdem entsteht dieser leise Zweifel: Warum bewegt sich nichts mehr?

Der sogenannte „Totwasser-Effekt“ beschreibt dieses Phänomen sehr treffend. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Nautik: Ein Schiff kann in einer Schicht unterschiedlich dichter Wassermassen feststecken, sodass der Rumpf regelrecht gebremst wird. Obwohl die Segel prall gefüllt sind, fehlt der Vortrieb. Genau so erleben viele Menschen ab 50 ihren beruflichen Alltag: engagiert, erfahren, belastbar, aber ohne erkennbaren Fortschritt.
Wenn Engagement und Wirkung auseinanderdriften
Gerade die Jahre zwischen 50 und 60 sind für viele geprägt von großer Verantwortung: beruflich, familiär, finanziell. Ein schneller Neustart ist selten realistisch. Also bleibt man, trotz wachsender Belastung und abnehmender Sichtbarkeit.
Das Schwierige ist dabei nicht die Arbeit selbst, sondern das Gefühl, dass der eigene Beitrag kaum noch eine Rolle spielt. Anerkennung wird seltener, Entwicklungsperspektiven verschwinden, Veränderungen werden ohne Einbindung getroffen. Viele sprechen davon, sich „unsichtbar“ zu fühlen, obwohl sie täglich Leistung erbringen.
Unsichtbare Kräfte, die bremsen
Hinter diesem Stillstand stecken selten einzelne Ereignisse, sondern eher langsame Verschiebungen in Systemen. Strukturen verändern sich, Entscheidungswege werden enger, Prioritäten verschieben sich hin zu jüngeren Teams oder neuen Profilen. Gleichzeitig schenken viele Unternehmen der Erfahrung älterer Mitarbeiter nicht die Bedeutung, die sie verdient. Die Folge ist ein Gefühl des Feststeckens. Nicht weil man weniger kann, sondern weil man weniger gesehen wird.
Was in dieser Phase wirklich hilft
Wenn ein Schiff im Totwasser festsitzt, hilft nicht mehr Kraft, sondern ein gezielter Kurswechsel. Schon wenige Grad reichen aus, um die bremsende Wasserschicht zu verlassen. Bei Menschen ist es ähnlich: Bewegung entsteht nicht durch noch mehr Anstrengung, sondern durch Klarheit.
Loslassen bedeutet, sich zu verabschieden von
Erwartungen, die nicht mehr passen
übernommenen Glaubenssätzen, die längst veraltet sind
Vorstellungen davon, wie Erfolg oder Loyalität auszusehen haben
Erst wenn diese innere Ordnung klarer wird, entsteht wieder Handlungsspielraum. Dazu gehört auch, sich bewusst zu machen, welche Rechte man hat, welche Optionen realistisch sind und wie man sich im eigenen Unternehmen wieder sichtbar macht – professionell, ruhig, selbstbewusst.
Würde als Kompass
Was Menschen in der zweiten Karrierehälfte am meisten verletzt, ist selten der Arbeitsdruck. Es sind subtile Entwertungen: das Übergehen bei Entscheidungen, die implizite Annahme, man sei „nicht mehr so flexibel“, die Reduzierung auf das Alter statt auf die Kompetenz.
Genau deshalb ist Würde in dieser Phase ein entscheidender Kompass. Würde bedeutet nicht Härte, sondern Haltung. Sie zeigt sich darin, wie jemand spricht, wie jemand Grenzen setzt und wie jemand für sich einsteht. Und sie kann ein bemerkenswerter Stabilitätsfaktor sein, gerade dann, wenn Strukturen wackeln.
Heraus aus dem Totwasser und hinein in die eigene Kraft
Viele Menschen erzählen mir, wie viel sich verändert, sobald sie beginnen, ihre Situation nicht mehr als persönliches Scheitern zu deuten, sondern als Zusammenspiel aus systemischen Dynamiken und fehlender Kommunikation. Wer dokumentiert, statt schweigt, gewinnt Orientierung. Wer spricht, statt schluckt, gewinnt Selbstwirksamkeit. Wer sich zeigt, statt sich zurückzuziehen, gewinnt Präsenz.
Totwasser ist kein Endpunkt. Es ist ein Übergang und oft der Moment, in dem sich zeigt, wie viel innere Kraft noch da ist, wenn man sie wieder aktiviert.
Die Community als Unterstützung
In der Community Karriere 55+ begleiten wir Menschen, die genau diese Phase erleben: feststecken, viel leisten, wenig Wirkung sehen – und dennoch wissen, dass sie noch viel beizutragen haben. Dort geht es um Austausch, Orientierung, Stärkung und darum, wieder in Bewegung zu kommen. Nicht durch Druck, sondern durch Klarheit und Haltung. Wer Interesse hat, darf gerne kostenlos beitreten!



